bulgarische Literatur.

bulgarische Literatur.
bulgarische Literatur.
 
Das altbulgarische Schrifttum geht - ebenso wie die kirchenslawische Tradition der Russen, Serben und Makedonier - auf die Tätigkeit der Slawenlehrer Kyrillos und Methodios zurück und hatte unter dem bulgarischen Zaren Simeon I., dem Großen, eine Blütezeit. Das Hexaemeron (»Šestodnev«) des Ioan Exarch und der apologetische Traktat des Mönchs Chrabar (9./10. Jahrhundert) zählen zu den bedeutendsten Werken dieser Zeit.
 
Gegen Ende des 12. Jahrhunderts beginnt die mittelbulgarische Periode, die v. a. Apokryphen, Heiligenleben und erbauliche Literatur hervorbrachte (»Barlaam und Josaphat«, Trojaroman, Alexanderroman). Nach der türkischen Eroberung (1396) und dem Verlust der kirchlichen Selbstständigkeit ging die literarische Tätigkeit stark zurück. Das Schrifttum, überwiegend kirchlich-religiös, bestand zum Großteil aus Übersetzungen und Bearbeitungen griechischer Vorlagen. Neue Impulse drangen in dieser Zeit der geistigen und kulturellen Isolation kaum ein, jedoch konnte sich eine reiche Volksdichtung (Brauchtums- und Heldenlieder) entwickeln.
 
Die neubulgarische Literatur begann mit der »Slawenobulgarischen Geschichte« (»Istorija slavjanobălgarska«, 1762, gedruckt 1844) des Athosmönchs Paissij, die für die Erweckung des bulgarischen Nationalbewusstseins von entscheidender Bedeutung wurde. Das in dieser Epoche der nationalen Wiedergeburt entstehende Schrifttum diente besonders dem Aufbau eines Schulwesens und der Volkserziehung (Fibel von P. Beron, 1824; erste bulgarische Grammatik von Neofit Rilski, 1835). Eine Literatur im eigentlichen Sinn entwickelte sich etwa ab 1860 im Zeichen des Befreiungskampfes gegen die Türken. Lyrik und Epos stützten sich auf das Volkslied, die erzählende Dichtung auf den russischen Realismus. Bedeutend waren v. a. G. Rakowski, die Lyriker Petko Slawejkow und C. Botew und der Erzähler L. Karawelow.
 
Nach der Befreiung von der Türkenherrschaft (1878) überwog zunächst eine von patriotischem Pathos getragene Literatur; I. Wasow schilderte in seinem Roman »Pod igoto« (3 Bände, 1889-90) den Aprilaufstand von 1876. Danach setzte eine Gegenströmung ein, die sich zum Teil der Satire bediente (A. Konstantinow, Roman »Baj Ganju«, 1895), zum Teil allgemein menschliche Probleme behandelte und die Pflege der Form in den Vordergrund rückte (Pentscho Slawejkow, P. Jaworow). Gegen Ende des Jahrhunderts führte diese Entwicklung zum Symbolismus, vorwiegend in Anlehnung an die russische und französische Dichtung (N. Liliew, T. Trajanow). Nach dem Ersten Weltkrieg machte sich eine Wende zum Realismus bemerkbar (Prosa: Elin Pelin, J. Jowkow; Drama: Rantscho Stojanow, * 1883, ✝ 1951; S. Kostow).
 
Nach dem Zweiten Weltkrieg war die bulgarische Literatur stärker als die anderen osteuropäischen Literaturen auf die sowjetische Ideologie und Ästhetik festgelegt (Vorläufer der revolutionären Dichtung: Christo Smirnenski, * 1898, ✝ 1923; N. Wapzarow; Krum Welkow, * 1902, ✝ 1960). Der sozialistische Realismus, offiziell sogleich energisch propagiert (Brief G. Dimitrows an den Bulgarischen Schriftstellerverband 1945), wurde seit 1948 zum absoluten Maß sozialistischer Literatur überhaupt, jedoch konnte die Prosa zunehmende Selbstständigkeit gewinnen (D. Dimow, »Tjutjun«, 1951; deutsch »Tabak«). Zu einer durchgreifenden Änderung kam es, wie auch in anderen sozialistischen Staaten, erst 1956 nach dem XX. Parteitag der KPdSU. Auf dem Gebiet der Prosa traten besonders D. Talew, G. Karaslawow, E. Stanew und P. Weschinow hervor; historische Romane schrieb Wera Mutawtschiewa, Dorfprosa J. Raditschkow und I. Petrow; Ljuben Dilow (* 1914) führte die Sciencefiction in die bulgarische Literatur ein. Bedeutende Leistungen in der Lyrik zeigten v. a. Penjo Penew (* 1930, ✝ 1959), Elissaweta Bagrjana, Damjan Damjanow (* 1935), Wladimir Baschew (* 1935, ✝ 1967), L. Lewtschew, Blaga Dimitrowa, N. Furnadschiew und Wesselin Chantschew (* 1919, ✝ 1966). Im Drama bringen den Wandel von der heroisch-revolutionären Darstellung (Losan Strelkow, * 1912, ✝ 1981) zu überzeugender Aussage besonders O. Wassilew, Todor Genow (* 1903), Emil Manow (* 1919, ✝ 1982), G. Dschagarow und J. Raditschkow zum Ausdruck. Im Rahmen einer solchen Entwicklung bedeutete das Stück »Čovekojaka« (1978) von Iwan Radoew (* 1927) einen Durchbruch bis an die Grenzen der möglichen Kritik am bestehenden Gesellschaftssystem. In der Lyrik werden neue Stilmöglichkeiten v. a. von W. Petrow, L. Lewtschew, Parwan Stefanow (* 1931), Slaw C. Karaslawow (* 1932) und Liljana Stefanowa (* 1929) erprobt; das poetische »Ich« steht wiederum im Vordergrund, gut ausgearbeitete Details werden mit frischen Assoziationen verbunden. Im Roman kommt es zu komplexeren Abbildungen der Wirklichkeit mit gleichzeitiger philosophischer Vertiefung (Diko Futschedschiew, * 1928; »Rekata«, 1974; deutsch »Schatten über dem Fluß«). In der Literaturkritik nehmen Pentscho Dantschew (* 1915), Tontscho Schetschew (* 1929) und Bojan Nitschew (* 1930) eine führende Rolle ein. Obwohl vielgestaltig, bewegte sich die bulgarische Literatur bis in die 80er-Jahre im Spannungsverhältnis zwischen zeitgenössischen künstlerischen Bestrebungen und der offiziellen Kulturpolitik. Erst allmählich kam es zu einer Belebung der thematischen und formalen Kriterien in der Erzählliteratur und im Drama. Psychologische Analyse (Dimitar Korudschiew, * 1941), zwischenmenschliche Beziehungen (Konstantin Iliew, * 1937; Stanislaw Stratiew, * 1941), Ökologie (Nikolaj Chajtow, * 1919; J. Raditschkow u. a.) drängten in den Vordergrund. Dokumentation und Fantastik brachten den Wiederanschluss an die Entwicklungen westlicher Literaturen. Eine »weibliche Poetik« zeichnete sich bei Blaga Dimitrowa, Rada Aleksandrowa (* 1943), Ekaterina Tomowa (* 1946), Rada Pantschowska (* 1949) u. a. ab, die eine neue Sensibilität und Sichtweise in die Lyrik trugen. Mehrere Literaten (B. Dimitrowa, S. Schelew) waren 1988 an der Bildung der ersten Oppositionsbewegung (Bürgerbewegung) beteiligt. Auf dem VI. Kongress des Bulgarischen Schriftstellerverbandes im März 1989 setzte scharfe Kritik am sozialistischen Realismus und an der politischen Gängelung durch den Verband ein. In einem Nachholprozess, in dem v. a. die jungen Autoren die neuen künstlerischen Chancen rasch nutzten, waren in den letzten Jahren sowohl neoavantgardistische (visuelle Poesie bei Iwan Kulekow, * 1951) als auch postmoderne Formen zu verzeichnen. Hier profilierten sich als Erzähler Wiktor Paskow (* 1949) mit »Balada za Georg Chenich« (1987) und »Germanija, mrăsna prikazka« (1992), in der Lyrik Bojko Lambowski (* 1960) und Mirella Iwanowna Sarewa (* 1963).
 
 
C. A. Manning u. R. Smal-Stocki: History of modern Bulgarian literature (New York 1960, Nachdr. Westport, Conn., 1974);
 
Istorija na bălgarskata literatura, hg. v. S. Božkov u. a., 4 Bde. (Sofia 1962-76);
 P. Gerlinghoff: Bibliograph. Einf. in das Studium der neueren b. L., 1850-1950 (1969);
 P. Zarev: Panorama na bălgarskata literatura, 5 Bde. (Sofia 1969-76);
 C. A. Moser: A history of Bulgarian literature 865-1944 (Den Haag 1972);
 M. Vasilev: Săvremenna bălgarska literatura (Sofia 1978);
 M. Matejic u. a.: A biobibliographical handbook of Bulgarian authors (a. d. Bulgar., Columbus, Oh., 1981);
 E. Bayer u. D. Endler: B. L. im Überblick (1983);
 R. Lauer: Lit., in: SO-Europa-Hb., hg. v. K.-D. Grothusen, Bd. 6: Bulgarien (1990);
 
Rečnik po nova bălgarska literatura 1878-1992, hg. v. M. Šiškova (Sofia 1994).

Universal-Lexikon. 2012.

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